Virusmutation und Regressrisiko, so sicher wie das Amen in der Kirche, PPA Symposium Uni Freiburg
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt einige Dinge, auf die man sich verlassen kann. Ein paar solcher Verlässlichkeiten, die uns sicher Ärger machen, sollen hier erwähnt werden.
So wie der Virenscanner immer aktualisiert werden muss, weil die Schufte nicht schlafen, so hat unser Wissen über das Coronavirus leider nur eine kurze Halbwertszeit. Kaum hatten wir über die gute Idee berichtet, mit monoklonalen Antikörpern immunsupprimierten Patienten aus der Patsche zu helfen, wenn sie keine eigenen Antikörper produzieren können, da zeigt sich, dass die Immun-Escape Variante Omikron nicht nur den Impfschutz teilweise unterläuft, sondern auch die Antikörperpräparate nicht mehr so gut wirken. Die Arbeitsgruppe COVRIIN am Robert Koch Institut beurteilt die Wirksamkeit von Ronapreve® für Omikron als fehlend, nach Rücksprache mit der Infektiologin der Uniklinik Ulm wird das Präparat jedoch weiter verwendet. Nach neuesten Informationen könnte Sotrovimab, das einzige hochwirksame MAK Präparat tatsächlich schon im Januar bereitstehen, jedoch für uns schlecht zu handhaben, weil erst im Erkrankungsfall zugelassen, Verteilung wie Ronapreve® (also evtl. Heimgabe möglich).
Hoffnung könnte der kombinierte Einsatz von Ronapreve mit dem eher mäßig wirksamen Molnupavir (Lagevrio®), bieten oder bald das hochwirksame orale Nirmatrelvir/Ritonavir (Paxlovid®). Beide Medikamente sind oral und nur zur Anwendung bei früher Infektion. Beide werden wohl auf unkonventionellem Weg über die Apotheke direkt zum Patienten gebracht, aus unerfindlichen Gründen unter Umgehung der üblichen Regularien, siehe die Information der Apothekerkammer. Nach allerletzten Meldungen muss wohl doch ein Rezept, aber mit spätester Einlösung nach 5 Tagen (Datum angeben!) und Kostenträger BAS Bundesamt für soziale Sicherung ausgestellt werden.
Bejubelt vom Außendienst ist die Zulassung von Diroximelfumarat (Vumerity®), das eine bessere Verträglichkeit als Dimethylfumarat (Tecfidera®) verspricht. Wie üblich kurz vor Ablauf des Patentschutzes ist es in mühevoller und zeitraubender Kleinarbeit gelungen, eine Variante herzustellen. Ungewöhnlicherweise ist das Präparat so me-too, dass keine Zulassungsstudie, sondern nur eine Bioäquivalenzstudie erforderlich war. Das Urteil des G-BA zum Zusatznutzen kann ich mir schon vorstellen: Kein Zusatznutzen bei höherem Preis, oder nur Zusatznutzen für Patientinnen, die Dimethylfumarat nicht vertragen hatten. Ich prognostiziere, dass daraufhin großzügigerweise das Präparat (derzeit ca 20% teurer) auf den gleichen Preis wie Tecfidera® gesetzt wird und sich die Verordnerin so lange in Sicherheit wiegen darf, bis die Generika auf den Markt kommen. Dann jedoch besteht eine Verordnung mit Zusatznutzen nur für den Patentträger und mit Regressrisiko für die Verordnerin.
Ein anderer Bereich, in dem Regresse drohen, sind die Heilmittelverordnungen. Ein Kollege fragte an, wie es bei psychiatrischen Patientinnen und Patienten denn mit langfristigem Heilmittelbedarf aussieht, der dann vor einer Überschreitung des Budgets schützt. Generell gilt ja die derzeitige Heilmittelrichtlinie, bei der wir ab Seite 75 die Diagnosenliste für langfristigen Bedarf finden. Im neurologischen Gebiet ist die Liste relativ auskömmlich (zur Erinnerung: Funktionsbeeinträchtigung und nicht Z.n. kodieren!). Im psychiatrischen Bereich sieht es schlecht aus. Es finden sich Entwicklungsstörungen wie Autismus auf Seite 89, Chromosomenanomalien auf Seite 90 und dann geriatrische Syndrome, die erst ab dem vollendeten 70. Lebensjahr gelten ab Seite 91. Diese umfangreiche Diagnosenliste hätte man sich auch für jüngere Patienten gewünscht. Zusätzlich sind jetzt Long-Covid Syndrome auch als besonderer Bedarf in die Liste aufgenommen. Besonderer Versorgungsbedarf wird nicht primär, sondern erst im Falle der Überschreitung herausgerechnet.
Teilweise wird bei psychiatrischen Patienten aufgrund der Budgetproblematik eher Soziotherapie als Ergotherapie verordnet. Nachdem hier aber ein Versorgungsproblem bestehen könnte, bittet der BVDN Baden-Württemberg um Rückmeldungen aus der Praxis: 1. Gibt es Probleme mit dem Heilmittel-Budget in psychiatrischen Praxen? 2. Was für Strategien nutzen Sie? 3. Was wären Ihre Wünsche zur Verbesserung der Versorgung mit Heilmitteln in den psychiatrischen Praxen?
Kleine Änderung der Einladung: Das nächste PPA Symposium der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Freiburg (Programm) ist geplant für 23.-24. September 2022, zu Ehren des 75. Geburtstags von Prof. Dr. M. Berger.